Erdkröten im Anmarsch!
Zuerst taucht eine auf, dann zwei, drei, dann unendlich viele. Zu Tausenden pilgern die Erdkröten aus dem Wald in Richtung Laichtümpel. Die üppigen Weibchen reisen oft schon gut bepackt, mit den Männchen im Schlepptau an. Sie schuften sich mehr krabbelnd als hüpfend voran und platschen schließlich erleichtert – zumindest macht es für mich diesen Anschein – ins auftriebspendende Nass.
Mitten unterm Volk
Wenn ich mich so unters Volk mische, was ich gelegentlich ganz gern tue, mit Wathose bekleidet und die Kamera im Unterwassergehäuse vor mir herschiebend – ebenfalls dankbar über den gewichtsreduzierenden Auftrieb – kann ich die Sekunden zählen, bis auch ich als Transportmittel genutzt werde.
Ich glaube der Rekord liegt bei sieben oder acht männlichen Froschlurchen, die sich gleichzeitig an meinen Fingern, Handgelenken, Ober- und Unterarmen festklammerten. Das können sie erstaunlich gut. Im Hormonrausch ergreifen sie nämlich so gut wie alles, was von der Größe her einem Weibchen entsprechen könnte. Sie lassen erst dann wieder los, wenn sie ihren Fauxpas bemerken. Und das kann dauern. Wenn versehentlich ein Männchen bei einem anderen Männchen andockt, im Glauben es sei eine Auserwählte, ist es immer wieder lustig zu beobachten und mitanzuhören, wie sie einander mit ihren sympathisch zaghaften Quietschlauten über die Fehlpaarung in Kenntnis setzen.
Was mich beim Herumdümpeln als Leih-Erdkrötenweibchen stets beschäftigt, ist die Frage, wo kommen sie her, wo gehen sie hin?
Dank kleiner Funk-Sender weiß man heute, dass die Erdkröten dazu fähig sind, drei bis sechs Kilometer weit zu wandern. Manche von ihnen sind sogar ausgefuchste Bergfexe und überwinden mehrere Hundert Höhenmeter im steilen Gelände mit bis zu 65 Grad Neigung. Ihr Ziel sind sommerliche Futtergründe, wo es Insekten, Würmer, Schnecken und Co. in rauen Mengen gibt. Für ein reichhaltiges Buffet rentiert sich die vertikale Plackerei eben. Das schlägt sich übrigens sogar handfest in Körperfettwerten nieder. Je steiler die Wanderung, desto beleibter die Kröten, desto ergiebiger die Nahrung.
Die Orientierung der Erdkröten
Forscher konnten außerdem feststellen, wie die Kröten navigieren. Und zwar hauptsächlich mithilfe des Erdmagnetfeldes. Gleichzeitig merken sich die Amphibien aber auch ihre einmal zurückgelegten Routen, indem sie Informationen aus ihrer Umgebung abspeichern. Sich legen sich so eine Art „kognitive Landkarte“ zurecht.
Restlos klären wird man es wohl nie können, wie es so kleine Lebewesen schaffen, sich so zielgenau zu orientieren.
Ziemlich sicher ist nur, dass sich das Massenspektakel an den Tümpeln auch im kommenden Jahr wiederholen wird. Wie auf ein geheimes Zeichen, vermutlich erneut in einer Regennacht und bei Temperaturen über 5 Grad Celsius, werden sie wieder herbeikraxeln. Kurz darauf überziehen bereits Myriaden von Eiern die Ufervegetation. Ein einziges Weibchen produziert 1.000 bis 6.000 Stück. Und schon nach wenigen Tagen schlüpfen aus den dunklen, linsengroßen Eiern unzählige beflosste und bekiemte Kaulquappen. Diese entwickeln sich ihrerseits in den kommenden paar Monaten zu lungenatmenden Minikröten.
Eine amphibische Meisterleistung. Natürlich bin auch ich wieder mit von der Partie und stelle mich im Gegenzug für ein Foto gern als Transportmittel zur Verfügung.
Christine Sonvilla, geboren 1981 in Klagenfurt, lebt in Mürzzuschlag. Nach Studien der Germanistik und Biologie machte sie sich als Fotografin, Filmerin und Autorin mit Fokus auf Natur- und Artenschutzthemen selbstständig. Ihre Arbeiten wurden mehrfach international ausgezeichnet und erschienen u. a. im National Geographic Magazin.
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