Der größte Raubfisch unseres Planeten, der Weiße Hai, übt auf viele Taucher eine besondere Faszination aus. Harald Slauschek ist vor Guadalupe der Liebe zu diesem bewundernswerten Lebewesen erlegen.
So fing alles an – Der Weiße Hai
Der Grundstein für meine Hai-Begeisterung wurde Anfang der 1970er Jahre gelegt. Damals entdeckte ich in einem der Sammelbücher »Fauna – Das große Buch über das Leben der Tiere« das Kapitel »Meeresjäger«. Das Foto werde ich nie vergessen. Es zeigte das aufgerissene und verzerrte Maul eines Weißen Hais. Das ließ bei mir eine gewisse Urangst entstehen, die gar keinen rationalen Hintergrund hatte.
Jahre später schlägt die Furcht in Faszination um. Ich kaufe Haibücher und Videos und werde zu einem »theoretischen« Haiexperten. Ende der 80er Jahre zieht es mich schließlich unter Wasser. Seitdem habe ich immer wieder wunderbare Begegnungen mit den unterschiedlichsten Haiarten. Hammerhaie, Tigerhaie und Walhaie werden zu Begleitern auf zahllosen Tauchgängen. Doch ein Traum erfüllt sich erst jetzt: Ich erreiche meinen persönlichen Hai-Olymp. Eine Begegnung mit dem Weißen Hai.
Meine Mexiko-Expedition zu den Weißen Haien
Als Unterwasser-Foto-Pro begleite ich eine Gruppe von Unterwasserfotografen und -filmern nach Mexiko. Ziel der Reise ist eine Insel, die zirka 250 Kilometer westlich der mexikanischen Halbinsel Niederkalifornien oder auch Baja California mitten im Pazifik liegt: Guadalupe! 40 Kilometer lang, maximal 9,5 Kilometer breit und karg. Eine Insel vulkanischen Ursprungs. Und weltweit das derzeitige Mekka für Begegnungen mit Weißen Haien. Um sie herum bevölkern ständig 80 bis 100 Exemplare dieser Tiere das tiefblaue Wasser.
Den Weißen Hai persönlich erleben zu dürfen ist ein Privileg, das nicht vielen Menschen beschieden ist. Und gemeint ist dabei kein Haiangriff. Der ist viel unwahrscheinlicher, als von einem Blitz getroffen zu werden. Sondern ein Aufeinandertreffen in einer »kontrollierten« Umgebung. Der Mensch steht oder kniet als Beobachter in einem Metallkäfig. Und die Weißen Haie entscheiden, ob, wann und wie weit sie sich ihm nähern. In anderen Regionen weltweit, kann die Begegnungen mit Weißen Haien fast garantiert werden. Das ist vor Guadalupe anders, denn das Anfüttern ist verboten. Und das ist auch gut so!
Somit besteht eine viel höhere Chance, den natürlichen Charakter der Tiere zu beobachten. Und das ist, meiner Meinung nach, für das Image des Weißen Hais ganz wichtig. Die unzähligen Fotos, die den Hai mit weit aufgerissenem Maul und bedrohlich wirkenden Zähnen zeigen, wie er den ihm dargebotenen Köder »attackiert«, werden bei dieser Begegnung auf ein Minimum reduziert.
Ich stellte mir natürlich die Frage, wie meine erste Begegnung mit dem größten lebenden Raubfisch ablaufen wird. Wir fahren mit dem Tauchkreuzfahrtschiff Nautilus Explorer zur Insel. Während der langen Überfahrt werden wir in die technischen Gegebenheiten, die logistischen Abläufe und die persönlichen Verhaltensweisen in allen möglichen Situationen eingewiesen. Und so sind wir bestens vorbereitet, als wir vor der Insel Guadalupe vor Anker gehen. Und: Wir sind aufgeregt!
Der Weiße Hai – Auge in Auge mit dem »Großen Weißen«
Mein »Co-Bewohner« und ich steigen vom Heck der Nautilus Explorer in den Käfig. Wir nehmen die Atemregler, die vom Schiff durch lange Schläuche mit Pressluft versorgt werden, in den Mund und signalisieren dem Diveguide ein eindeutiges »OK!« Dieser bringt den Käfig auf die geplante Tauchtiefe von zwölf Metern. Ich bin jetzt unter Wasser auf der einen Seite sehr ruhig. Auf der anderen Seite erwartungsvoll angespannt. Und ich bin vor allem eines: Bereit für meinen Hai-Olymp!
Ich blicke ins Blauwasser und suche nach der Silhouette eines Weißen Hais. Es dauert. Dann, ein majestätischer Auftritt: Ein Weißer Hai zeigt elegant seine fast schneeweiße Unterseite. Ein einprägsames Erlebnis für die meisten Taucher und Unterwasser-Fotografen. Ein Weißer Hai kreist um den Käfig und nähert sich. Ich fixiere ihn, er fixiert mich im Käfig. Und dann kommt er ganz langsam und ganz entspannt so nahe, dass ich ihn locker mit meiner ausgestreckten Hand berühren könnte. Das ist der Moment, auf den ich so lange und sehnsüchtig gewartet habe! Ehrfürchtig, demütig und insbesondere fasziniert stehe ich dem verkannten Albtraum meiner Kindheit Auge in Auge gegenüber. Ein unvergesslicher Moment!
Nicht nur die imposante Erscheinung dieser majestätischen Tiere, auch ihre vollkommene Ruhe und Gelassenheit beeindrucken sehr. Bis auf den einen, drei Meter langen und leicht verhaltensauffälligen Junghai beim letzten meiner zwölf Käfigtauchgänge. Dieser machte mir bewusst, welche enorme Kraft und Masse diese Tiere haben. Das interessierte und leichte Berühren des Schutzkäfigs mit seiner Schnauze erzeugt für mich ganz subjektiv ein Erdbeben der Stärke zehn auf der Richter-Skala. Beim anderen Käfig sorgt dieser Hai für eine Reduktion der Luftversorgung vom Schiff. Er schlitzte die Luftschläuche mit seinen Zähnen auf. Für die Taucher kein Problem. Denn im Käfig gibt es Tauchflaschen. Und die Stahlseile, die die Käfige mit dem Schiff verbinden, sind für die Haie unmöglich zu durchtrennen.
Seelöwen als Zugabe
Zweimal besuchen auch einzelne Seelöwen unsere Tauchkäfige, die rund 150 Meter vor der Insel ins Wasser gelassen wurden. Sie tauchen inmitten der Weißen Haie und spielen förmlich mit ihnen. Bei den Haien können wir dabei zwei interessante Verhaltensweisen beobachten: Einerseits beachten sie die Seelöwen in keinster Weise. Und andererseits, wenn die Seelöwen zu frech werden und versuchen, die Haie in die Schwanzflosse zu beißen, entfernen sich die »Räuber der Meere« scheinbar genervt.
Das Bild vom attackierenden Weißen Hai ist einfach falsch. Erwachsene Seelöwen sind, wenn ein Blickkontakt zu den Haien möglich ist, diesen unter Wasser aufgrund ihrer Wendigkeit überlegen. Erst bei schlechterer Sicht und bei Nacht ist dieser Vorteil dahin. Denn dann sind die ganz besonderen Sinnesorgane der Haie ein überragender Vorteil. Tagsüber, bei 15 bis 40 Meter Sicht unter Wasser, sind die erwachsenen Seelöwen relativ sicher. Daher richtet sich das Interesse der Weißen Haie auf die Jungtiere, die noch unerfahren sind und leichtere Beute darstellen.
Mein Fazit? Die Reise nach Guadalupe sollte jeder Haiinteressierte einmal gemacht haben! Solch intensive und sichere Eindrücke von den Weißen Haien unter Wasser sind aktuell wahrscheinlich nirgendwo sonst möglich. Abgesehen davon ist aus heutiger Sicht nicht absehbar, wie lange die Weißen Haie noch die Weltmeere bevölkern werden. Durch die Überfischung, das Bejagen der Haie und die Umweltverschmutzung ist leider auch der Weiße Hai vom Aussterben bedroht. Daher wird er auf der Roten Liste der IUCN als bedrohte Art geführt. Mit dem Zusatz »VU – gefährdet, hohes Risiko des Aussterbens in der Natur in unmittelbarer Zukunft.« Und das ist ein wirklicher Albtraum für mich! Leider einer mit rationalem Hintergrund.
Alle Fotos in diesem Beitrag hat Harald Schlauschek gemacht und sind urheberrechtlich geschützt!
Ich bin 1966 geboren und lebe in Wien. Seit mehr als 25 Jahren arbeite ich als Fotograf und habe mir in den letzten Jahren auch speziell im Bereich der Unterwasser-Fotografie viel Erfahrung angeeignet.
Schreibe einen Kommentar