Libellen – Farbenbrillanz und perfekte Luftakrobatik

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Wer auf eine „Stammesgeschichte“ von 250 Millionen Jahren zurückblicken kann, darf ohne Zweifel als Erfolgsmodell der Evolution gelten. „Odonata“ – die „Gezähnten“ – jagten schon im Oberkarbon ihre Beute durch die Steinkohlenwälder aus Riesenfarnen, Riesenschachtelhalmen, Schuppen- und Siegelbäumen. Die Vorfahren unserer Libellen, die sog. „Meganeuriden“, waren ehemals deutlich größer, wie Fossilienfunde belegen. Die dichten und gigantischen Wälder produzierten mehr Sauerstoff, was das Wachstum der Tiere begünstigte. Bei ihnen strömt die Luft durch Tracheen (Röhren) passiv ins Körperinnere. Sauerstoffgehalte von vermutlich über 30 % (gegenüber ca. 21 % heute) ermöglichten damals Flügelspannweiten von bis zu 70 Zentimetern.

 

Die etwa 80 heute in Mitteleuropa heimischen Libellenarten – weltweit sind derzeit etwa 5.900 Arten bekannt – sind beinahe um den Faktor 10 kleiner, zählen aber dennoch zu den auffälligsten und schönsten Insekten. In punkto Farbenpracht können allenfalls die Schmetterlinge mithalten; aber was die Flugkünste angeht, sind gerade die Großlibellen unübertroffene Meister.

 

02_Schwarze Heidelibelle
02_Schwarze Heidelibelle

 

Widersprüchliche Gefühle

 

Ihr Image war – und das ist noch nicht lange her – in großen Teilen der Bevölkerung alles andere als gut. Ihre Größe und ihre Flugkünste, ihr lautloser Flug, das plötzliche Auftauchen machten sie unheimlich. Zu allem Unglück wurden ihnen fälschlicherweise beim Vieh von Bremsen verursachte Stiche angehängt, als sie beim Einsammeln der Blutsauger beobachtet wurden. Gerade diese Fehlbeobachtungen führten zu widersprüchlichen Gefühlen, die sich im Sprachgebrauch widerspiegeln: Schlangenstecher, Teufelsnadel, Giftspritzer und Wadenbeißer, um nur einige heute nicht mehr nachvollziehbare Bezeichnungen zu nennen. Auch wenn die Libellen bis heute ein „Stiefkind“ der Lehrpläne in den Schulen geblieben sind, wissen die meisten Menschen, dass sie gar nicht stechen können, weil ihnen ein Stachel fehlt. Informierte Kreise wissen zudem die für den Menschen wertvollen Dienste der Libellen als Jäger von Stechmücken und Bremsen zu schätzen. Die Wasserjungfern, so der alte Name der Libellen, werden zunehmend zu Sympathieträgern, und die Zahl der Libellenfreunde wächst.

 

Kopf, Brust und Hinterleib (oder Caput, Thorax und Abdomen) bilden, wie bei allen Insekten, den Libellenkörper. Drei mit Dornen bestückte Beinpaare, zum Laufen kaum geeignet, sind die Greifer, denen ein anvisiertes Beuteinsekt praktisch nicht entkommen kann und oft noch im Fluge den kräftigen, bezahnten Kiefern zugeführt wird. Große Komplexaugen, die sich bei den Großlibellen aus bis zu 28.000 sechseckigen Einzelaugen zusammensetzen, sorgen für eine Rundumsicht. Das zeitliche Auflösungsvermögen eines Bewegungsvorganges übersteigt das des menschlichen Auges um ein Mehrfaches. Diese optischen Fähigkeiten machen die Räuber zu ausgesprochenen „Augentieren“, die einen neutralen Beobachter nur dann in ihrer Nähe dulden, wenn er sich sehr behutsam bewegt.

 

Libellen – Lautlose Meister des Fluges

 

Zu Meistern des Fluges macht sie die besondere Art der Flügelbewegung, die im gesamten Insektenreich einmalig ist. Üblicherweise greifen die Flugmuskeln an der Rücken- und Bauchplatte der Brust an und bewegen beide Platten rhythmisch gegeneinander, wodurch die Flügel indirekt mitbewegt werden. Bei den Libellen jedoch verlaufen die Flugmuskeln direkt zu den Flügelwurzeln. Vorder- und Hinterflügel können wechselweise bewegt werden. Während die Kleinlibellen sich eher bedächtig schwebend oder schmetterlingsartig flatternd fortbewegen, vermögen die Großlibellen blitzschnelle Wendungen auszuführen, unvermittelt anzuhalten, um auf der Stelle zu rütteln; einige können sogar kurze Strecken rückwärts fliegen.

 

Diese präzisen Flugmanöver werden aber erst durch feine Details in der Konstruktion der Flügel möglich: Einzelne Verbindungen des fachwerkartigen Adergerüsts bestehen aus einem Eiweiß, das sich wie Gummi verhält. Damit können die Flügel kontrolliert in ihrer Gestalt verändert werden, also den jeweils wechselnden aerodynamischen Kräften angepasst werden.

 

Ein weiteres Plus für ihre Kunstflugtauglichkeit: Die luftgepolsterten und somit auch gut wärmeisolierten wechselwarmen Jagdflieger sind leicht. Selbst die größten unter ihnen wiegen kaum mehr als ein Gramm.

 

Der lautlose Flug der Libellen ohne Summton liegt an der niedrigen Schlagfrequenz der Flügel. Mit 28-30 Schlägen in der Sekunde liegt er an oder knapp unter der menschlichen Hörgrenze von 30 Schlägen. Im Vergleich dazu liegen die Frequenzen von Honigbienen bei 200, von Stubenfliegen über 300 und von Stechmücken über 600 Schlägen pro Sekunde. Und was die Endgeschwindigkeit mancher Großlibellen betrifft, wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von 50 Stundenkilometern locker übertroffen.

 

 

Besonderheiten der Anatomie der Libellen

 

Die hohe Beweglichkeit des Kopfes, eine Notwendigkeit z. B. für die Orientierung bei komplexen Flugmanövern, beruht auf einer dünnen und biegsamen Verbindung mit der Brust. Um Verletzungen in der Halsregion durch hohe Fliehkräfte und anderweitige mechanische Belastung, z. B. beim Transport schwerer Beute oder bei der Paarung vorzubeugen, wird der Kopf bei manchen Libellenarten am Rumpf durch eine Art Klettverschluss mit haftenden Borsten fixiert.

 

Der lange Hinterleib, das Abdomen, wirkt als Flugstabilisator und enthält die inneren Organe, die vom farblosen Insektenblut (Hämolymphe) durchströmt werden, das aber nicht in Adern fließt. Dieses wird von einem schlauchförmigen Herzen in Bewegung gesetzt, um allen Organen die aus der Nahrung gewonnenen Stoffe zuzuführen. Zum Sauerstofftransport dient es nicht. Wie weiter oben vermerkt, wird die passive Sauerstoffversorgung durch ein Röhrensystem sichergestellt.

 

Äußerlich sind am Hinterleib jeweils zehn Segmente zu erkennen. Beim Weibchen befindet sich der Eiablageapparat oder die Legescheide auf der Unterseite des achten Segments. Beim Männchen befindet sich die Geschlechtsöffnung am neunten Segment, Kopulationsapparat und „Penis“ befinden sich auf der Bauchseite des zweiten und dritten Segments. Eine Übertragung des Samens an das Kopulationsorgan muss also noch vor der Paarung erfolgen.

 

Die Kinderstube im Wasser

 

Eigentlich sind Libellen Wassertiere, denn den größten Teil ihres Lebens verbringen sie im Wasser. Als Ei im Wasser oder auf einer Wasserpflanze abgelegt durchlaufen sie bis zu 15 verschiedene Larvenstadien. Hier heißt es: fressen und wachsen. Sie häuten sich also bis zu 15 Mal, um sich ihrer endgültigen Form als Fluginsekt (Imago) immer weiter anzunähern. Die Kinderstube als Larve im Wasser kann je nach Art und Umweltbedingungen ein bis fünf Jahre dauern.

 

Wie gut sie an das Element Wasser angepasst sind, erkennt man daran, dass sie keinen Sauerstoff aus der Luft brauchen, sondern wie die Fische über Kiemen den Sauerstoff direkt dem Wasser entnehmen. Da kann es in trockenen und heißen Sommern in nährstoffreichen Gewässern mit dem Sauerstoff schon mal eng werden. Eine wichtige Voraussetzung für das Gedeihen der Libellenlarven ist also eine gewisse Wasserqualität, damit die Sauerstoffversorgung funktioniert.

 

Die Jahre im Wasser verbringen die kleinen Monster überaus räuberisch. So ernähren sie sich u. a. von Mückenlarven, machen sich mitunter sogar über Kaulquappen her. So mancher Gartenteichbesitzer ist dann auf die kleinen gefräßigen Monster gar nicht gut zu sprechen. Aber auch sie selbst werden gefressen: von größeren Libellenlarven und von Fischen.

 

Geburt in ein zweites Leben

 

Wenn die Zeit im Wasser zu Ende geht, folgt der wohl kritischste Moment im Leben einer Libelle. Für den Libellenfreund und -beobachter der interessanteste und am meisten berührende. Es ist die Metamorphose, der Übergang vom letzten Larvenstadium zur so genannten Imago, dem Fluginsekt, die Geburt in ein zweites Libellenleben. Eine Verpuppung wie bei den Schmetterlingen gibt es bei den Libellen nicht.

 

10_Imagogeburt
10_Imagogeburt

 

 

Bevor die künftige Libelle sich den Luftraum erobern kann, muss sie die letzte Larvenhaut verlassen. Schon eine Woche vor dem Schlupf stellt sie die Nahrungsaufnahme ein. Eine ganz besondere „Leistung“ ist die Umstellung der Atmung. Mit dem Verlassen des wässrigen Elements und vor dem Schlüpfen muss sie auf „Luftsauerstoff“ umstellen. Atemöffnungen treten in Funktion. Von nun an wird atmosphärischer Sauerstoff aufgenommen. Der harte Larvenkörper ist durch die Aufnahme von Wasser weich geworden, was für das Aufplatzen der Larvenhülle günstig ist.

 

Das Tier sucht sich einen geschützten Platz, z. B. an einem steifen Grashalm, den es erklettert und an dem es sich mit seinen sechs Beinen fest verankert. Von der Ungestörtheit und der Sicherheit dieses Platzes hängt es ab, ob es diese Zeit der absoluten Hilflosigkeit unbeschadet übersteht. In einem Prozess, der mehrere Stunden dauern kann, gleitet es langsam, mitunter auch kopfüber aus der alten Haut. Ist dies geschafft, fährt die Neugeborene ihren Hinterleib teleskopartig aus und entfaltet ihre noch weichen Flügel. Überschüssiges Wasser wird tropfenweise wieder abgegeben. Durch die Adern hindurch werden die Flügel gewissermaßen „aufgepumpt“. Erst wenn sie ausgehärtet sind, kann die Libelle zu ihrem Jungfernflug starten. Die volle Flugfähigkeit stellt sich nach 1-2 Tagen ein.

 

 

01_Torfmosaikjungfer_Schlupf
01_Torfmosaikjungfer_Schlupf

 

 

Trockenes warmes Wetter ist günstig und macht sie vergleichsweise schnell flugfähig. Nasses Wetter hingegen dehnt diese kritische Phase aus. Regentropfen oder böiger Wind können die Flügel verkleben und zu Missbildungen führen, die die Libelle flugunfähig machen. Dann ist ihr Ende schon vor dem Start ins neue Leben besiegelt.

 

Zurück bleibt eine leere Hülle, die man Exuvie nennt. Da Exuvien artspezifische Unterschiede aufweisen, sind sie eine wertvolle Hilfe beim Nachweis der am Gewässer vorkommenden Arten und ein Beleg dafür, dass sie sich dort vermehren, also heimisch und nicht nur Gäste sind.

 

Libellen-Paarung ohne (T)Reue

 

Dem Jungfernflug folgt die Zeit der Reifung, in der oft abseits des Gewässers gejagt wird. Mit der Geschlechtsreife ziehen zuerst die Männchen ans Gewässer, suchen sich ein geeignetes Revier und verteidigen es gegen ihre männlichen Artgenossen. Ungeduldig und „schmachtend“ werden die Weibchen erwartet. Treffen diese ein, gibt es kein Halten mehr. Wer zuerst zugreift, gewinnt. Denn dies ist der einzige Sinn des Fluginsekts Libelle: Paarung und Vermehrung, und das am besten so oft wie möglich. Von Partnertreue keine Spur!

 

Einmalig in der Tierwelt ist das „Paarungsrad“ zwischen Männchen und Weibchen, das – Achtung Romantiker! – bei den kleineren Libellen sogar die Form eines Herzens annehmen kann. Das Männchen ergreift mit seinen Hinterleibsanhängen das Weibchen hinter dem Kopf, das Weibchen biegt seinen Hinterleib dem Männchen entgegen. So kommen die Begattungsorgane beider Partner in Kontakt und verankern sich. Vielfalt auch hier: Paarung in Sekundenschnelle im Fluge bis hin zu Paarungszeiten von einer Stunde nah beim oder weit vom Gewässer entfernt.

 

 

 

 

Unter Aufsicht des Männchens legt danach das Weibchen die Eier im Wasser ab, oft im Tandem, bei manchen Arten erledigt dies das Weibchen aber auch allein. Der Partner ist aber immer wenigstens in Sichtweite, damit er eingreifen kann, wenn das Weibchen bei der Ablage der von ihm befruchteten Eier von einem Konkurrenten gestört wird. Mit der Ablage der Eier ins Gewässer schließt sich der Kreislauf des Libellenlebens, in Erwartung eines langen neuen Lebens im nassen und eines kurzen, aber intensiven im luftigen Element.

 

Gefahr auf acht Beinen

 

Nicht nur im Wasser lauern allerlei Gefahren, denen die Tiere mit dem Legen einer hohen Eier-Stückzahl begegnen. Selbst nach einer gelungenen Metamorphose kann schon der Jungfernflug tödlich enden, und zwar im Netz ihrer ärgsten achtbeinigen Gegner, den Spinnen. Selbst die größten und kräftigsten Libellen sind verloren, sobald sie sich in den Spinnfäden verfangen haben. Auch für die Amphibien und die Vögel, wie z. B. Bienenfresser, Eisvogel und Baumfalke sind Libellen willkommene Eiweißhappen. Gefahren lauern überall, selbst von Seiten der Pflanzen: In den Mooren kann die unachtsame Wahl eines Ansitzes auf dem Sonnentau tödlich enden.

 

07_Herbstmosaikjungfer_im_Netz
07_Herbstmosaikjungfer_im_Netz

 

Veränderungen in der Umwelt

 

Das überall spürbare Problem der Eutrophierung der Landschaft mit Stickstoff aus der Luft betrifft insbesondere die spezialisierten Arten unter den Libellen. Früher nährstoffarme Moore boten ausschließlich anspruchsvollen Spezialisten unter den Libellen Entwicklungsmöglichkeiten. Diese besonders angepassten Arten werden zunehmend verdrängt von anspruchslosen „Allerweltsarten“. Qualität und Nährstoffgehalt sind der Knackpunkt, denn die Entscheidung, welche Libellenart sich behaupten kann, wird vor allem unter Wasser während der langen Larvenstadien getroffen. Konsequenz: Einer möglichen quantitativen Zunahme steht eine qualitative Abnahme gegenüber.

 

Die allgemeine Erwärmung des Klimas mit höheren Wasser- und Lufttemperaturen begünstigt Arten aus dem Süden, dem mediterranen Raum, welche auch bei uns mehr und mehr Fuß fassen. Wärmeres Wasser beschleunigt das Wachstum der Larven. Eine Verschiebung des Artenspektrums ist die Folge.

 

Nicht nur das Klima, auch die Witterung kann massiv in den Libellenbestand eingreifen. Anhaltende Frostnächte im Frühling wie auch durchweg kühle Perioden mit Dauerregen können das vorzeitige Ende der auf Wärmezufuhr von außen angewiesenen Tiere bedeuten. Da hilft dann auch das sog. „Warmzittern“ nicht mehr weiter, das manche Arten in kühlen Morgenstunden „auf Touren“ bringt. Mit dem Frost im Spätherbst ist dann endgültig Schluss mit dem Libellenleben.

 

Die individuelle Lebenserwartung als Fluginsekt deckt in unseren Breiten eine große Spannweite ab. Kleinlibellen wie die Azurjungfern können mit zwei bis vier Wochen rechnen, Großlibellen wie die Mosaikjungfern durchaus mit zwei bis drei Monaten. Eines ist allen gemeinsam: Für die Arterhaltung wird bis zum Ende alles gegeben. So lassen sich je nach Witterung noch im Oktober/November alte „Kämpen“ mit ziemlich zerfetzten Flügeln finden, die erst durch die einsetzenden Nachtfröste ihr Leben aushauchen. Für sie ist also bald Schluss. Den Winter überdauern werden nur Larven im Schutz der Gewässer.

 

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